Wissenswertes über Biografiearbeit und Geschichtswerkstätten

Aus aktuellem Anlass möchte sich Dr. Joachim Gruber diesmal mit zwei Begriffen beschäftigen, die u.a. in der Pädagogik eine wichtige Rolle spielen: Es handelt sich dabei um die Biografiearbeit und die Geschichtswerkstatt.

Was ist darunter zu verstehen? In den 1970er Jahren wurde in den USA ein vielbeachtetes pädagogisches Konzept zur systematischen Lebensrückschau entwickelt. Man entdeckte dabei, dass viele Menschen mit zunehmendem Alter den Wunsch verspürten, sich mit der eigenen Vergangenheit intensiver auseinanderzusetzen. Und man fand heraus, dass dies das Selbstvertrauen älterer Menschen stärkte und ihnen mehr Sicherheit gab. Ihr Leben und Schaffen war wichtig und etwas wert. Und ist es noch immer. Dies wiederum trägt viel dazu bei, manch schwierige Situationen des Älterwerdens – wie etwa das häufig verspürte und geäußerte Gefühl der scheinbaren Nutzlosigkeit – besser zu bewältigen. Vieles kann dabei gelernt und eingeübt werden. Etwa die Fähigkeit, sich gezielt und systematisch mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Gedächtnisinhalte und Erinnerungen als verborgene Schätze zu begreifen, die nicht gänzlich verloren gehen sollten. Ein tieferes Verständnis für die eigene Biografie und Geschichte zu erlangen. Schließlich kann eine richtig verstandene und angewandte Biografiearbeit auch zum besseren Verständnis und zur besseren Bewältigung von drei Zeitphasen dienen: Lebensbilanz (Vergangenheit), Lebensbewältigung (Gegenwart) und Lebensplanung (Zukunft).

Kommen wir nun zu den Geschichtswerkstätten. Diese entstanden ebenfalls in den 1970er Jahren und zwar in Skandinavien. Das Buch des Autors Sven Lindqvist mit dem Titel "Grabe wo Du stehst" erweckte weltweit ein breites Interesse für die Erforschung und Darstellung der regionalen Geschichte von unten. In Deutschland entstanden daraufhin die ersten Geschichtswerkstätten in Hamburg und Berlin. Sie wurden meistens von jungen HistorikerInnen und AktivistInnen der BürgerInnenbewegung gegründet und betrieben. Heute gehören sie zu den anerkannten Methoden, um die Lebensumwelten der Menschen und ihre Erfahrungen zu erforschen. Es geht dabei vor allem um die lokale und regionale Umgebung. Die dabei eingesetzten Aktivitäten sollen die Geschichte möglichst unmittelbar erfahrbar machen: Durch Dia-/Filmvorträge, Zeitzeugengespräche, Fotoworkshops, Erstellen von Ausstellungen und kleinerer Publikationen, historische Rundgänge, Betreiben von Geschichtscafés usw. Dafür braucht es nicht mehr, als die Bereitschaft sich zu erinnern, davon zu erzählen und auch andere an diesen verborgenen Erinnerungsschätzen teilhaben zu lassen. Jede und jeder kann dabei Mitmachen.

Die Marktgemeinde Wagna will mit den beiden Projekten „Lagerstadt Wagna“ und „KZ-Memorial Aflenz a.d.Sulm“ demnächst intensiv einen Weg beginnen, den der Retzhof als einer der Kooperationspartner gerne begleiten wird. Als Bildungshaus werden wir uns natürlich vor allem den pädagogischen Aufgaben widmen. Biografiearbeit und Geschichtswerkstätten gehören dazu. Wir freuen uns schon auf diese wichtige und schöne Aufgabe.

 

Zum Autor: Dr. Joachim Gruber ist pädagogischer Leiter des Bildungshauses Retzhof und Lektor an der Karl-Franzens-Universität Graz zum Fachbereich Management in Bildungsorganisationen.