Historische Bildung: Bewusstseinsregion Südsteiermark

Im Beisein von Landesrätin Dr.in Juliane Bogner-Strauß und Bürgermeister Peter Stradner wurde am 11. Februar 2022 die offizielle Zertifikatsverleihung für zehn ausgebildete Mauthausen-Guides am Retzhof vorgenommen.

Diese werden in Zukunft im Römersteinbruch von Aflenz a.d.Sulm auf Anfrage kompetent und professionell Begleitungen für Gruppen durchführen und über die KZ-Geschichte dieses unterirdischen Arbeitslagers der SS umfassend informieren und aufklären.

 

Zertifizierte Mauthausen-Guides

In enger Zusammenarbeit mit dem Mauthausen-Komitee-Österreich (MKÖ) und der Marktgemeinde Wagna wurde im Bildungshaus Retzhof ein Lehrgang zum zertifizierten Mauthausen-Guide organisiert. In insgesamt fünf Modulen wurde den TeilnehmerInnen in Theorie und Praxis eine Ausbildung geboten, welche ein umfangreiches, komplexes und schwieriges Thema des sogenannten „Dritten Reichs“ zum Inhalt hatte: Die radikale Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft bis zu deren physischer Vernichtung in Konzentrationslagern bzw. in deren Außenstellen. Das KZ-Aflenz a.d.S. war eine solche Außenstelle des KZ-Mauthausen. Vor allem größere Besuchergruppen darüber kompetent und umfassend in Kenntnis zu setzen, ist keine leichte Aufgabe. Sie erfordert fundiertes historisches Wissen, aber auch ein hohes Maß an pädagogischer und psychologischer Kompetenz und an besonderer Empathie. Allein die Atmosphäre des unterirdischen Aflenzer Römersteinbruchs, in welchem im Jahr 1944 von KZ-Häftlingen technische Teile für die Rüstungsindustrie des NS-Regimes gefertigt wurden, lässt kaum jemanden unberührt. Die besten Voraussetzungen für Information und Aufklärung über die wahren Umstände dieser Zeit sind damit am tatsächlichen Ort des Geschehens gegeben. Es geht dabei aber nicht nur um ein scheinbar rückwärtsgewandtes Erinnern und Gedenken. Besonders mit Schulklassen können am Beispiel der Geschehnisse rund um das KZ-Aflenz a.d.S. auch sehr zeitgenössische Themen wie Geschichtsinterpretation, Migration, Identität, Diversität, Rassismus, u.v.a., exemplarisch behandelt werden. Engagierte Menschen der Marktgemeinde Wagna haben für eine solche Bildungsarbeit – im und um den Römersteinbruch – bereits jahrelange Vorarbeiten geleistet. Die nunmehr ausgebildeten und zertifizierten Mauthausen-Guides und das Bildungshaus Retzhof wollen diese überaus bemerkenswerte und schätzenswerte Leistung in Zukunft nach besten Kräften zusätzlich unterstützen und weiterentwickeln.

 

Lagerstadt Wagna

Nicht weniger bemerkenswert und erzählenswert ist die besonders außergewöhnliche Geschichte der Marktgemeinde Wagna, deren Entwicklung in vielfacher Hinsicht ja ganz wesentlich mit der Lagerstadt Wagna verknüpft ist. Und diese kann immerhin auch auf eine fast 50-jährige Geschichte zurückblicken. Am 27. November 1963 berichtete die Kleine Zeitung: „Das Lager, (…) soll völlig aus der Erinnerung der Gegenwart ausgelöscht werden. Die Abbrucharbeiten sollen sich nämlich nicht nur auf die Entfernung von Baracken beschränken (…) sondern es wird von den Beauftragten auch die völlige Einebnung des Humus verlangt“. Damit endete, fast 50 Jahre nach deren Errichtung durch die ersten Flüchtlinge, zumindest die sichtbare Geschichte der Lagerstadt Wagna beinahe vollständig. Sollte damals auch die Erinnerung an das größte Lager der Steiermark ausgelöscht werden? Natürlich war die lange Geschichte der Lagerstadt Wagna mit Vertreibung, Krankheit, Not und Tod behaftet und für viele war es einfach nur ein Zwangsdomizil. Dinge, an die man sich nicht gerne erinnert oder erinnert werden will. Andererseits war schon die Errichtung des Lagers eine bemerkenswerte kollektive Leistung, wie die Fotos darüber zeigen.  Man machte sich damals schon von Beginn an durchaus Gedanken zur Flüchtlingsfürsorge, von der die Mehrzahl der heutigen Flüchtlingslager nur träumen kann. So heißt es etwa in den Instruktionen dafür 1914/15: (…) „Doch erscheint es unerlässlich, dass neben der Vorsorge für die bloße Fristung des Lebens eine weitgehende, religiöse, sozialpolitische und kulturell-humanitäre Aktion tritt“. Einrichtungen zur Erfüllung dieses Anspruchs wurden in der Folge im Lager auch errichtet, betrieben und kontinuierlich ausgebaut.

 

„Wagnerianer erzählen ihre Geschichte“

Mit dem Projekt „Wagnerianer erzählen ihre Geschichte“ soll es gelingen, dass die vielfältigen Aspekte dieser außergewöhnlichen Geschichte der Gemeindeentwicklung nicht dem Vergessen preisgegeben werden. In diesem Zusammenhang kommt vor allem die Methode der „oral history“ zum Einsatz. Menschen erzählen ganz einfach über ihre Erinnerungen. Meist handelt es sich dabei um alltägliche Geschichten und handeln nicht von den überlieferten Ereignissen und Erlebnissen der offiziellen Geschichtsschreibung. Dafür sind sie aber auch meist frei von besonderen Interessen. Damit sind diese Alltagsgeschichten zumeist sehr nahe an der Wirklichkeit. Darin geschulte Personen zeichnen diese Geschichten auf, ordnen sie nach Themen und setzen diese vielen Puzzleteile dann zu einem großen Gesamtbild zusammen. In der Folge sollen auch Fotos oder Gegenstände aus vergangenen Tagen vor dem Wegwerfen gerettet werden. Auch sie sind stumme Zeugen, die uns aber dennoch noch immer viel über die Vergangenheit erzählen können. Die letzte noch im Original erhaltene Baracke der Lagerstadt Wagna könnte solcherart zu einem kleinen, aber feinen „Museum der Erinnerung“ in der Region werden. Dies wäre ein weiterer Schritt für die Verwirklichung des umfassenden Projektes „Bewusstseinsregion Südsteiermark“.

 

Bewusstseinsregion Südsteiermark

Mit der Projektidee „Bewusstseinsregion Südsteiermark“ schließt sich der Kreis. Mit dem Römersteinbruch, dem KZ-Aflenz a.d.S., der Geschichte der Lagerstadt Wagna, den zeitgeschichtlich interessanten Ereignissen an der Grenze zum heutigen Nachbarn Slowenien, grenzüberschreitenden Wanderungen und Exkursionen und vielem anderen mehr, sind unzählige gesellschaftspolitisch interessante Geschichten verbunden und zu erzählen. Man muss sie nur dementsprechend aufbereiten, damit sie auch der Laie schnell und einfach erfassen und verstehen kann. Die Möglichkeiten analoger und digitaler Aufbereitungen und Anwendungen sind dabei schier grenzenlos. Dies wiederum sind (museums-)pädagogische und technologische Leistungen und dafür gibt es SpezialistInnen. Nimmt man die vielen archäologischen oder naturgeschichtlichen Besonderheiten in der Region dazu, die bereits didaktisch gut aufbereitet vorhanden sind, dann könnte in gemeinschaftlicher Zusammenarbeit tatsächlich so etwas wie die Marke „Bewusstseinsregion Südsteiermark“ entstehen. Für anspruchsvolle Gäste und TouristInnen bestimmt ein starkes zusätzliches Argument, die wunderschöne und genussreiche Region Südsteiermark zu besuchen und auch länger zu verweilen.

 


Zum Autor: Dr. Joachim Gruber ist pädagogischer Leiter des Bildungshauses Retzhof und Lektor an der Karl-Franzens-Universität Graz zum Fachbereich Management in Bildungsorganisationen.