Gebrauchsanweisung für Slowenien

Dass die Menge der Zuhörerschaft räumliche Probleme bereiten könnte, ist bei Buchpräsentationen dann doch recht

selten. Der slowenische Autor, Verleger, Übersetzer und Lektor Aleš Šteger schaffte dieses Kunststück mit einer Lesung aus

seiner Gebrauchsanweisung für Slowenien am Retzhof.

Auch wenn das Ende des gedruckten Buches immer wieder vorhergesagt wird, auf Reiseliteratur trifft dies jedenfalls nicht zu. Reiseführer und Kartenmaterial erfreuen sich nach wie vor auch in Papierform ungebrochener Beliebtheit, wie die diesbezüglichen Verkaufszahlen der Verlage eindrucksvoll zeigen. Ist der klassische Reiseführer das Werk von AutorInnen, die über den gewählten Sehnsuchtsort gerne vor Ort recherchieren und fleißig die noch so kleinsten aktuellen Informationen darüber zusammentragen und in systematisierter Form in ihrem Reiseführer wiedergeben, so verlangt die bekannte Reihe des Piper-Verlages der Gebrauchsanweisungen für die verschiedensten Städte und Länder einen ganz anderen Typus, nämlich den der SchriftstellerIn und der geübten und begnadeten LiteratInnen.

 

Aleš Šteger ist so einer. Die Gebrauchsanweisung für Slowenien entstand weitgehend in den Zeiten der Covid-Pandemie und unter massiven Reiseeinschränkungen, wie er den zahlreichen ZuhörerInnen gleich zu Beginn erzählt. In seiner häuslichen Schreibstube, sozusagen. Dafür hatte er aber viel Zeit über sein Heimatland und seine Landsleute eingehend nachzudenken und sie gleichsam wie von einem anderen Stern aus zu betrachten und zu beschreiben. Neben dem Handwerk und der Gabe des literarischen Schreibens ist es wohl vor allem ein tiefdringender psychoanalytischer Blick auf die Menschen und die Gesellschaft, die diese Gebrauchsanweisungen so interessant und oft auch so amüsant für die LeserInnen machen. Land und Leute dann auch vor Ort noch eingehender als bisher kennenzulernen, hat Šteger dann zu Fuß, mit dem Fahrrad und der Bahn in mehreren Etappen nachgeholt.

 

Šteger beginnt seine Lesung mit einer Warnung: Sie lieben die Berge? Fahren Sie bitte nicht nach Slowenien! Fahren Sie lieber in die Schweiz, dort hat man Berge im Überfluss und noch dazu höhere. Sie wollen ans Meer? Dann fahren Sie doch lieber nach Griechenland oder Kroatien denn dort gibt es weitaus reichlicher Meer und Sandstrände und Inseln dazu. Oder lieben Sie Religion? Dann fahren Sie doch besser nach Bayern oder Österreich, dort trifft man den lieben Gott in jedem zweiten Satz. Oder am besten gleich in den Vatikan. Mit diesen und weiteren überraschenden Empfehlungen, weswegen bitte nicht nach Slowenien zu reisen sei, beginnt Štegers Gebrauchsanweisung für Slowenien, die sich in der Folge als selbstkritische, manchmal ironische aber immer liebevoll zugewandte Betrachtung und Beschreibung seines Heimatlandes erweist. Diesem kleinen Flecken der nation on the best location, wie es in seinem Buch so schön und treffend heißt.

 

Im ersten Teil beschäftigt sich Šteger mit dem Allgemeinen über das Besondere, wie er schreibt. Die Slowenin, der Slowene – so überschreibt er einen Versuch der Charakterisierung, wohl wissend, dass es sich dabei vor allem um die Wiedergabe von Stereotypen, von Fremd- und Selbstzuschreibungen geht. Was gibt es Typischeres als Feste feiern und dazu eine große und zumeist heillos zerstrittene slowenische Familie? Man kann nicht miteinander, man kann aber auch nicht ohneeinander, wie er schreibt. Es zeichnet den Autor aus, dass er sich damit in Zeiten der political correctness bewusst und mutig auch auf heikles Terrain wagt. Die Fähigkeit des Autors, identitätsstiftende Rollenbilder immer wieder mit Humor und Selbstironie unter eine kritische Lupe zu nehmen, durchzieht den Text und macht ihn auch dadurch zu einem immer wiederkehrenden Lesevergnügen, egal welche Seite man aufschlägt. Allerdings nicht für alle, wie Šteger nebenbei bemerkte. Diese Haltung habe ihm bei seinen Lesungen in Slowenien manchmal auch sehr harsche Kritik eingebracht. Nestbeschmutzer, was soll das Ausland denken, und so weiter, man kennt das ja.

 

Im zweiten Teil geht es dann – völlig unvermeidlich – um slowenische Sinneslust, um Essen und essen lassen, um Trinken und sich zu betrinken, um Kunst und Fluchen, um Kreisverkehre und Volksmusik, um Jugo-Nostalgie und vieles mehr. Was meint das slowenische Sprichwort Imeti krompir – Kartoffeln haben? Was ist eine Čompe? Was ist eine krvavice? Und was sind žlikrofi? Neben Wissenswertem über die bekannte und beliebte Alkoholtriade Wein, Bier und Schnaps ist in der Gebrauchsanweisung für Slowenien auch Cocta erwähnt, ein mit Nostalgie verbundenes, alkoholfreies Getränk? Wer kennt es? Und welches Bier bestellte der österreichische Avantgardelyriker H.C. Artmann auf seinen Streifzügen mit dem Motorrad durch Ex-Jugoslawien, wenn er sein slowenisches Lieblingsbier wortlos und nur mit leicht gekrümmten Zeige- und Mittelfinger beim Kellner bestellte, um das Logo der Bierbrauerei nachzuahmen? Finden Sie es selbst heraus oder lesen Sie es bei Šteger nach. Ich will es Ihnen ja nicht zu leichtmachen.

 

Teil drei der Gebrauchsanweisung für Slowenien ist den Hügeln und Wäldern (Slowenien, so der Autor, besteht ja bekanntlich aus fifty shades of green!), Bergen, dem Wasser, dem Karst, der Tiefebene von Prekmurje und dem kleinen Stückchen Meer gewidmet. Alle Kapitel machen Lust darauf, sofort den Rucksack zu packen und auf Schusters Rappen, wie es ja im Deutschen so schön heißt, die ungemein vielfältige slowenische Landschaft zu durchwandern oder auch mit dem Fahrrad zu entdecken. In mir rief dieser Teil des Buches eine Zeile des Autors in Erinnerung, welche gleich eingangs zu lesen war: Es kann durchaus ein Honigland sein, wenn man sich für den Zuckergenuss Zeit nimmt und die Zeit verfließen lässt, so wie es der Zeit angemessen ist – der Zeit und nicht uns, den Immer-mehr-und-zu-viel-Wollenden. Mehr ist dazu wohl nicht zu sagen.

 

Im vierten und letzten Teil des Buches widmet sich Šteger einigen ausgewählten Orten, natürlich auch seiner Heimatstadt Ljubljana, dann Maribor, dem slowenischen Synonym für Lokalpatriotismus, Celje und Ptuj, Koper und Piran, usw. bis nach Celovec, also Klagenfurt. Auf wenigen Seiten lernt man vieles über diese Orte. Oder man findet zumindest reichlich Anregungen dazu, in was man sich noch mehr vertiefen und darüber weiter belesen will. Aleš Štegers Herz schlägt aber wohl vor allem – trotz aller vermeintlich wichtigen und empfehlenswerten Sehenswürdigkeiten seines Heimatlandes Slowenien – für die zahllosen unscheinbaren und unbekannten Mikrokosmen mit all ihren Menschen, Tieren und Dingen. Und die gibt es am besten beim ziel- und absichtslosen Herumflanieren, vor allem draußen in der slowenischen Natur und an den Rändern der Zentren, nach wie vor in reicher Zahl zu entdecken.

 

Aleš Šteger: Gebrauchsanweisung für Slowenien
Piper Verlag, 2. Auflage, 2022.
Erhältlich in jeder Buchhandlung.

 

Zum Autor: Dr. Joachim Gruber ist pädagogischer Leiter des Bildungshauses Retzhof und Lektor an der Karl-Franzens-Universität Graz zum Fachbereich Management in Bildungsorganisationen.