Solidarität - mehr als nur ein Wort!

Vor einer Woche besuchte Dr. Joachim Gruber im Wiener Bruno-Kreisky-Forum eine Diskussionsveranstaltung zum Thema Solidarität. Anlässlich der gerade stattfindenden weltweiten Streikbewegungen macht es Sinn, ein wenig über diesen Begriff nachzudenken. Was bedeutet er für die nachkommende Generation? Erlebt er gar eine Renaissance?

Wenn man noch vor drei Jahren in politischen Diskussionsveranstaltungen mit dem Begriff der Solidarität daherkam, erntete man zumeist nur ein etwas müdes und mitleidiges Lächeln. Das war doch was für alte weiße Männer, so schien es. Umso erstaunlicher, dass in den Medien der letzten Tage dieser Begriff wieder häufig gebraucht wurde. Vor allem waren es vermehrt Schüler*innen und Studierende, die sich solidarisch mit den Forderungen streikender Arbeiter und Arbeiterinnen erklärten. Die an Flughäfen und Bahnhöfen blockierten und gestrandeten Reisenden zeigten zwar wenig Freude über die streikbedingten Ausfälle oder Verspätungen. Gleichzeitig hörte man aber auch ein in den letzten Jahren selten gewordenes Verständnis für die Arbeitsniederlegungen. Ähnliches war in vielen anderen öffentlichen Einrichtungen, aber auch in privaten Unternehmen zu beobachten. Ein vermehrt auftretendes solidarisches Verständnis für die Aktionen war spürbar.

Solidarität ist ein schwer zu fassender Begriff. Eine der bekanntesten frühen Definitionen stammt vom französischen Soziologen Émile Durkheim (1858 – 1917). Er verband den Begriff der Solidarität mit sozialem Zusammenhalt und meinte, dass mit zunehmender gesellschaftlicher Entwicklung die Menschen immer solidarischer und der soziale Zusammenhalt immer dichter werde. Nun, die Geschichte hat diese Annahme leider gründlich widerlegt.

Häufig wird unter Solidarität auch verstanden, dass sich Menschen einander helfen, weil sie einander kennen oder sich aus sonst welchen Gründen als zusammengehörig empfinden. Dieses Konzept kann jedoch – wie uns die Geschichte täglich lehrt – sehr rasch ins Gegenteil umschlagen. Wenn sich die Zeiten und Umstände nur ein wenig ändern, können die subjektiv dann plötzlich als anders Wahrgenommenen sehr schnell ausgeschlossen oder gar brutal verfolgt werden. Eine dritte Variante wäre die gleichsam institutionalisierte Solidarität: also staatliche Rentenvorsorge, öffentliches Gesundheitswesen, Arbeitslosenversicherung, Sozialhilfe, kostenfreier Zugang zu Ausbildungswegen usw. Dieser Begriff von Solidarität ist jedoch immer an ein Tauschgeschäft gekoppelt. Denn es wird von den Leistungsbeziehern erwartet, dass sie vorher auch Leistungen für die Gemeinschaft erbringen. Durch Einzahlung in das Pensionssystem, in die Arbeitslosenversicherung, durch die Versteuerung des Einkommens oder die Ableistung von Wehr- oder Zivildienst. All dies zählt also zum erwarteten Gegengeschäft. Wenn man den Maßstab einer globalen Solidarität anlegt, so muss leider gesagt werden, dass von dieser Art der Solidarität meist nur Staatsangehörige des globalen reichen Nordens davon wirklich profitieren. Zugang zu sozialstaatlicher Solidarität erhalten also nur diejenigen, die die richtigen Papiere besitzen. Freiheit, Gleichheit und Solidarität müssen jedoch überall und für alle Menschen gelten. Unter echter und damit auch globaler Solidarität könnte man daher jene symbolische oder materielle Hilfe verstehen, die sich auf all jene bezieht, die wo auch immer auf der Welt, um ihre legitimen (Menschen-)Rechte kämpfen. Echte Solidarität hat letztendlich auch nichts mit Barmherzigkeit, Gönnerhaftigkeit oder Wohltätigkeit zu tun. Es geht dabei um den Kampf für umfassende und gleiche Rechte für alle, bei gleichzeitiger Anerkennung von Verschiedenartigkeiten und ohne den Anspruch, die anderen in die eigene soziale Gruppe integrieren zu müssen. Echte Solidarität hat für mich viel mit dem gegenseitigen Umgang auf Augenhöhe zu tun. Echte Solidarität besteht für mich in der klaren Parteinahme für die weltweit Unterdrückten, Entrechteten, Marginalisierten und Verfolgten.

Die gute Nachricht: Solidarisches Denken und Handeln kann dazu führen, dass sich der Blickwinkel auf die Vorgänge in der Welt verändert. Dass man viel Mut aus der Erkenntnis und Erfahrung schöpft, dass man nicht alleine dasteht. Dass sich durch solidarisches Denken und Tun auch zwischen Menschen aus ganz verschiedenen sozialen Zusammenhängen verbindliche, egalitäre und sinnstiftende Kooperationen und Beziehungen entwickeln können. Vielleicht ist es das, was die jungen Menschen von heute bereits erkannt haben oder intuitiv fühlen. Dass das, was wir als Solidarität bezeichnen ein wichtiger Baustein sein wird, um diese, unsere eine und einzige Welt, zu einem besseren Ort für alle zu machen.

 


Dr. Joachim Gruber war Direktor des Bildungshauses Schloss Retzhof. Er ist Lektor an der Universität Graz und lehrt und schreibt über Bildung, aber nicht nur darüber.