Gewalt hat viele Gesichter

Körperlich und seelisch unversehrt zu leben ist ein Grundbedürfnis und Grundrecht eines jeden Menschen, und zwar in jeder Lebensphase. Denn Gewalt in jeder Form macht nachweislich krank und die physischen und psychischen Folgen begleiten Menschen oft ein Leben lang. Es muss daher eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein, jeder Form von Gewalt entgegenzuwirken. Dies ist aber nicht nur eine Aufgabe der Politik oder mit Gewaltprävention befasster Organisationen und Institutionen. Jeder kann dazu seinen ganz persönlichen Beitrag leisten, wie Dr. Joachim Gruber schreibt.

Gewalt und Pädagogik

Was als Gewalt beurteilt und empfunden wird, hat sich im Laufe der Geschichte stark verändert. So galt noch vor einigen Jahrzehnten körperliche Gewalt als durchaus legitimes Erziehungsmittel. Die sogenannte Schwarze Pädagogik füllt Bände in der pädagogischen Literatur. Der legendäre Roman von Friedrich Torberg ‚Der Schüler Gerber‘ aus dem Jahr 1930, in dem psychische Gewalt des Lehrers zum freiwilligen Tod des Schülers führte, erlangte Weltruf und veränderte die Diskussionen dazu in der Schulpädagogik nachhaltig. Leider wurde diese kritische Auseinandersetzung über die schulischen und häuslichen Erziehungsmethoden brutal durch den aufkommenden Faschismus unterbrochen. Eine geradezu systematische Erziehung zur Gewalt erfolgte zur Zeit der nationalsozialistischen Kinder- und Jugenderziehung in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts. Das Ziel war klar: Junge Männer sollten auf das vorbereitet werden, was sie im Krieg erwarten würde. Was man als legitime Gewalt empfand, sollte möglichst hochschwellig im Bewusstsein der jungen Menschen verankert werden. Auch nach dem Ende des Faschismus dauerte es noch Jahrzehnte, bis die reformpädagogischen Ansätze und Ideen der frühen 30er Jahre wieder ernsthaft Eingang in die pädagogischen Diskussionen schafften. In den frühen 70er Jahren des 20. Jahrhunderts erfasste die Diskussion über Erziehung und ihre Bedeutung zur Gewaltbereitschaft auch die breite Öffentlichkeit. Damals sehr zu meinem Ärger, wie ich heute zugeben muss. Denn als Folge dessen wurden auch die damals gängigen und bei uns Kindern äußerst beliebten Zeichentrickfilme aus den Fernsehprogrammen eliminiert, in denen es von hochgehenden Bomben und Gewaltszenen nur so wimmelte. Aber am Ende ging doch alles für alle gut und glimpflich aus. Liest man heute die Liedtexte prominenter Rapper oder diverser Bands etwas genauer und schaut sich die derzeit angebotenen und jederzeit zugänglichen Gewalt-Computerspiele für Kinder und Jugendliche an, so war dies damals allerdings wahrlich vernachlässigbarer Kinderkram.

 

Begriffe, Bewegungen und neues Bewusstsein

Seit den 1980er Jahren findet sich der Begriff Mobbing der zunächst vor allem als gravierendes Gewaltproblem in der Arbeitswelt erkannt wurde. Er bezeichnet dauerhafte Angriffe gegen die Würde und das Selbstwertgefühl von Personen durch Abwertung der Leistung, berufliche Entmündigung, öffentliche Demütigung usw. Etwas später kommt der Begriff Stalking auf. Er bezeichnet permanente Verfolgungshandlungen gegen eine Person, die gewaltsam in das private Leben einer Person eindringen und dieses dadurch massiv beeinträchtigen und bedrohen. Das Internet, das seit Mitte der 1990er Jahre für die breite Masse der Bevölkerung flächendeckend nutzbar wurde, hat die Möglichkeiten solcher gewaltsamer Eingriffe in das Leben anderer leider massiv erleichtert und verstärkt. Stalking ist mittlerweile ein Straftatbestand aber die zahlreichen und einfachen Möglichkeiten dabei anonym zu bleiben, ließen hier viele Schranken fallen. Im Jahr 2013 gründeten drei Frauen in den USA die Bewegung Black Lives Matter (Schwarze Leben zählen). Die Bewegung entwickelte sich seitdem zu einer transnationalen Bewegung, die sich gegen Gewalt gegen Menschen mit nicht weißer Hautfarbe wendet. Es folgte 2017 die MeToo Bewegung die Frauen ermutigen soll, auf das Ausmaß sexueller Belästigung, Nötigung und Gewalt im alltäglichen Leben mittels Tweets aufmerksam zu machen. Im August 2018 tritt die Fridays For Future Bewegung erstmals an die Öffentlichkeit. Auch sie wendet sich gegen die gewaltsame Ausbeutung von Mensch und Natur in jeder Form, die als eine wesentliche Ursache für die aktuelle Klimakrise verstanden wird. Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass sich Formen und Möglichkeiten Gewalt auszuüben, in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten - besonders in der medialen Kommunikation - massiv erweitert haben. Gleichzeitig ist das Bewusstsein gewachsen, wie sehr all dies die betroffenen Personen verletzen, dauerhaft schädigen und sogar in den Tod treiben kann. Nicht vergessen darf man dabei aber das Ausmaß der physischen Gewalt. Laut Kriminalstatistiken der letzten Jahrzehnte ist diese in Österreich zwar kontinuierlich weniger geworden aber keineswegs aus der Welt geschafft. Immer wiederkehrende Femizide, also Tötungsdelikte an Frauen und Mädchen, sind nur die traurigen Spitzen eines Eisbergs, die in die Medien gelangen und zumeist den Endpunkt jahrelanger verdeckter häuslicher Gewalt in Beziehungen darstellen. Und auch die Gewalt durch Kriegshandlungen, Folter und Vertreibung begleitet uns jeden Tag in den Abendnachrichten. Nur ganz selten werden die Opfer gezeigt. Auch ein Grund dafür, dass wir uns daran offenbar ganz gut gewöhnt haben.

 

Nicht gewöhnen, nicht verschweigen, sondern etwas tun

Eingangs habe ich erwähnt, dass es Aufgabe jeder und jedes Einzelnen sein muss, aktiv etwas gegen Gewalt zu tun, wenn man ihr offensichtlich begegnet oder sie im Verborgenen auch nur vermutet. Wie bei der Ersten Hilfe gilt als oberster Grundsatz: Nicht wegschauen, nicht weghören, nicht weggehen. Denn Gewalt und ihre Täter und Täterinnen scheuen in der Regel die Öffentlichkeit. Schon darüber reden, das Problem offen ansprechen, kann helfen. Wer sich dazu nicht in der Lage sieht, kann sich an zahlreiche Institutionen und Organisationen wenden, die, auf Wunsch auch anonym, kompetente und rasche Hilfe anbieten. In dringlichen Fällen die Polizei. Oder das Gewaltschutzzentrum als größte Opferschutzeinrichtung in der Steiermark mit ihren Außenstellen in Leibnitz, Feldbach, Leoben, Hartberg, Liezen und Bruck a.d.M. Oder auf internationaler Ebene Organisationen wie Amnesty International unterstützen. Denn auch im Umgang mit Gewalt gilt mit Sicherheit der Grundsatz: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!

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Text von: Dr. Joachim Gruber
war Direktor des Bildungshauses Schloss Retzhof. Er ist Lektor an der Universität Graz und lehrt und schreibt über Bildung, aber nicht nur darüber.


 

Verein freiraum: FRAUEN für FRAUEN

Seit bereits Mai 2022 koordiniert die Frauenberatungsstelle freiraum das Projekt „StoP“ (Stadt ohne Partnergewalt) und setzt sich damit aktiv gegen häusliche Gewalt an Frauen ein. Monatliche Treffen in Frauen- und Männergruppen finden im Wohnzimmer des Kompetenzzentrums und im Freiraum Leibnitz statt. Im Zuge der Treffen wurde ein Selbsttest für Männer entwickelt. 

Mit diesem kann man leicht herausfinden, welcher Typ Mann man ist und sich einen ungezwungenen Einstieg und Zugang zum Projekt „StoP“ finden. Dieser Fragebogen (unten angefügt) wurde von der Männergruppe „SToP - Stadtteile ohne Partnergewalt"-Leibnitz erarbeitet und bietet die Möglichkeit, einer zwanglosen„Selbsteinschätzung". Dieser Test erhebt nicht den Anspruch eines psychologischen Persönlichkeitstests.

 

Beratungstermine für psychosoziale Unterstützung von Männern und Burschen in Krisen und schwierigen Lebenssituationen bietet die Männerberatung Leibnitz: 0316 831414

 

Weitere Infos zum Männertisch STOP, der sich regelmäßig trifft und sich gegen häusliche Gewalt und die Sensibilisierung von Gewaltformen einsetzt: www.stop-partnergewalt.at

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c Ulrich Schneebauer